1.10.2021 - Anne-Katrin Wehrmann / Jann Raveling

cellumation – die Legosteine der Fördertechnik

Erfolgsgeschichten

Revolution am Fließband: Bremer Start-up cellumation sorgt mit innovativem Fördersystem für Aufsehen

Hendrik Thamer (links) und Gründer Claudio Uriarte (rechts) am Fördersystem celluveyor.
Hendrik Thamer (links) und Gründer Claudio Uriarte (rechts) am Fördersystem celluveyor. Im Vergleich zu anderen Förderanlagen brauche ihr System 95 Prozent weniger Platz. © WFB/Jörg Sarbach

Fließbänder transportieren Waren von A nach B, doch bei komplexeren Aufgaben wie Drehen oder Sortieren versagen sie. Hier brauchte es bisher spezialisierte, oft unflexible Anlagen. Der in Bremen entwickelte „celluveyor“ denkt Fördertechnik neu. Das internationale Interesse an dem Bremer Start-up ist groß.

Auf den Kopf gestellter Fußballrobotor

Ein paar Jahre ist es jetzt her, dass der Maschinenbauer und Patentingenieur Claudio Uriarte (42) im Internet auf Youtube einen Fußball-Roboter in Aktion sah. Das kleine Kerlchen bewegte sich auf Rädern. Es ließ sich in alle Richtungen steuern. Der Roboter war deswegen wendig und flexibel. Da kam Uriarte, der damals als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bremer Institut für Produktion und Logistik (BIBA) beschäftigt war, eine Idee: Warum den Roboter nicht auf den Kopf stellen und die Technik der Räder nutzen, um damit Gegenstände zu transportieren? Aus Restteilen, die er an seinem Arbeitsplatz zusammensuchte, bastelte er eine kleine sechseckige Fläche mit drei einzeln und gezielt ansteuerbaren Rädern: Fertig war der Prototyp des „cellular conveyor“ (zellulares Förderband), kurz celluveyor.

Zellen lassen sich zu beliebig großen Anlagen zusammensetzen

Das Besondere am celluveyor ist, dass sich beliebig viele Zellen zu beliebig großen Anlagen zusammensetzen lassen. Sie können dann die unterschiedlichsten Aufgaben erledigen: Objekte sortieren, sie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten geradeaus oder um die Ecke transportieren, rotieren, Paletten bestücken – alles ist möglich, da sich jedes Rad einzeln steuern lässt.

„Wir haben praktisch die Legosteine der Fördertechnik entwickelt“, erläutert Uriarte. Ihm und seinen BIBA-Kollegen Hendrik Thamer war schnell klar: Die Erfindung kann die Welt der Förderanlagen revolutionieren. Die Technologie wurde erfolgreich patentiert. „Wir haben von Anfang an das große Potenzial der Technologie geglaubt“, macht der promovierte Ingenieur Hendrik Thamer (40) deutlich.

Parallel zur Gründung nahmen die beiden Unternehmer von April 2015 bis April 2016 am zwölfmonatigen Coachingprogramm des Starthauses Bremen & Bremerhaven teil und machten sich konzeptionell und unternehmerisch fit für den Schritt in die Selbstständigkeit.

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Paketboom trifft auf Platzmangel trifft auf Fachkräftebedarf

Vor vier Jahren (2017) wechselten die Wissenschaftler dann als Spin-off des BIBA in ihr eigenes Unternehmen cellumation. Seitdem wächst das Start-up rasant – 65 Angestellte zählen sie heute. Und Kundinnen und Kunden kommen aus ganz Europa. Gerade eben haben sie ihre bisher größte Anlage in Spanien aufgebaut. Sie misst rund 17 Quadratmeter, mit über 400 einzelnen Zellen.

Die neue Fördertechnik löst für Logistikbetriebe gleich eine Vielzahl an Herausforderungen. Denn einerseits nimmt der Onlinehandel (auch bedingt durch Covid-19) stark zu, die Zahl an Paketlieferungen erfordert eine immer größere Infrastruktur dahinter. Andererseits werden in den Städten jedoch die Flächen für neue Logistikzentren knapp. Sie müssen deshalb so platzsparend wie möglich gebaut werden. Zuletzt kommt noch der Personalmangel hinzu, der gerade zu Stoßzeiten wie zu Weihnachten akut wird.

Der celluveyor wird hier für Unternehmen ein wichtiger Baustein: Vereinzelungsanlagen – also Maschinen, die viele einzelne Pakete sortieren und die ihren Bestimmungsort im Logistikzentrum führen – brauchen bisher enormen Platz. Hier spart der celluveyor bis zu 95 Prozent ein, weil sich die Pakete frei bewegen können. Gleichzeitig arbeitet er völlig autonom, Menschen müssen keine Pakete mehr sortieren und zuordnen. „Unser System kommt an komplexen Knoten zum Einsatz, dort, wo viele einzelne Objekte zusammenkommen und in verschiedene Richtungen aufgeteilt werden müssen“, fasst es Thamer zusammen.

Ein Beispiel: Beim DHL-Logistikzentrum in Greven verarbeitet ein celluveyor auf nur 2,7 Quadratmetern 3.500 Sendungen pro Stunde.

Intelligente Sortierung dank künstlicher Intelligenz

Die einzelnen Zellen, die jeweils aus einer Oberfläche in hexagonaler Form, Rädern, drei Elektromotoren und einer integrierten Steuerungsplatine bestehen, unterscheiden sich in nichts voneinander. Die Magie steckt vor allem in der Software.

„Die Steuerung in der Zelle ist sehr komplex“, erläutert Thamer. „Die Bedienbarkeit ist jedoch extrem einfach.“ Das liegt vor allem an der intelligenten Steuerung, die auf künstlicher Intelligenz, genauer gesagt Computervision, setzt. Bei der Computervision geht es darum, Objekte mittels Kameras zu erkennen, zu klassifizieren und zu verarbeiten. Bei cellumation hängt eine Kamera oberhalb des Systems und erkennt hereinkommende Pakete, die Software weist dann die Rollen an, das Paket in die gewünschte Bahn zu lenken.

Zusätzlich kann das System noch mit einem Barcodescanner verbunden werden, um noch mehr Informationen über die Pakete verarbeiten zu können – zum Beispiel, wenn Postsendungen nach Postleitzahl sortiert werden sollen, statt nach Größe.

Sollte eine Zelle einmal nicht funktionieren, melden das umgehend die Nachbarzellen. Zu den großen Vorteilen der modularen Bauweise gehört es, dass die Anwenderinnen und Anwender ein defektes Modul unkompliziert austauschen können. Uriarte: „So gibt es keine teuren Systemausfälle, das macht uns einzigartig.“ Hinzu komme, dass der celluveyor auf kleinstem Raum unterzubringen sei.

Den Wandel der Industrie mitgestalten

In der Logistikbranche sprechen sich diese Vorzüge herum. Zu den Kundinnen und Kunden gehören neben Paketdienstleistern auch weitere namhafte Unternehmen aus Produktion und Logistik. Der celluveyor sei nicht nur ein Fördersystem, sondern ermögliche ganz neue Anwendungen, macht Hendrik Thamer deutlich. „Wir wollen ein Unternehmen sein, das den Wandel in der Industrie mitgestaltet – durch neue Ideen, Sachen zu denken und umzusetzen. Nur so lassen sich letztlich komplett neue Lösungen entwickeln.“

Eine eigene Abteilung des Unternehmens beschäftigt sich deshalb mit Forschung und Entwicklung – und neue Ideen gibt es noch zuhauf: „Wenn alles nach Plan läuft, hat sich unsere Technologie in ein paar Jahren etabliert und ist zum internationalen Standard geworden. Der celluveyor hat das Potenzial, die Welt der Materialfluss-Technik so zu verändern, wie der Industrieroboter die Produktion in der Vergangenheit revolutioniert hat. Wir wollen, dass jedes ausgelieferte Paket weltweit auf seinem Weg mindestens einmal eine celluveyor-Rolle berührt hat.“

celluveyor
Jede Zelle des celluveyor besteht aus einer sechseckigen Fläche mit drei Rädern, drei Elektromotoren und einer integrierten Steuerungsplatine. © WFB/Jörg Sarbach

Bremen ideal als Logistikstandort

Große Ambitionen. Dafür arbeitet das schnell wachsende Team hart. Neben der Forschung ist Bremen auch Produktionsstandort. Jede einzelne Zelle wird hier in Kleinserienproduktion zusammengeschraubt. Rund 60 Zellen pro Tag entstehen im Bremer Werk – einer von insgesamt drei Standorten des jungen Unternehmens in der Hansestadt. „Bremen hat eine lange Logistiktradition. Hier gibt es einerseits die Logistikriesen und andererseits wissenschaftliche Institute und ein breites Netzwerk. Davon profitieren wir natürlich. Außerdem halten wir Kontakt zur Start-up-Gemeinschaft, der Austausch ist sehr wertvoll für uns“, so Thamer.

Die Logistikprofis erhalten längst internationale Aufmerksamkeit. Fachmagazine, Webseiten mit Tech-Bezug oder soziale Netzwerke berichten immer wieder über die Bremer Technik. „Die omnidirektionalen Rollen haben etwas Faszinierendes. Von selbst bewegen und ordnen sich die Pakete – das finden die Menschen spannend. Diese Begeisterung versuchen wir zu nutzen“, so Thamer.

Neue Kundinnen und Kunden werden ganz von selbst auf das Bremer Unternehmen aufmerksam – besonders den Markteintritt in den USA haben sie sich für die kommenden Monate vorgenommen. Für diesen haben sie kürzlich am German-Accelerator-Programm der Bundesregierung teilgenommen, die Unternehmen auf das USA-Geschäft vorbereitet.

Damit das klappt, benötigt das junge Unternehmen noch Geld – derzeit durchlaufen sie ihre Series-A-Finanzierung, bei der sie Risikokapital einsammeln wollen für den nächsten großen Schritt. Einige namhafte Unterstützerinnen haben sie bereits – darunter der Innovationsrat der Europäischen Union (EIC), der das Start-up finanziell förderte. Mit über zwei Millionen Euro finanziert die EU damit die Weiterentwicklung des zellular konzipierten Förder- und Positioniersystems.

Sieger im Start-up-Contest der Länder

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Im Herbst 2021 nahm Cellumation beim Start-up-Contest der Länder der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH teil – einem Wettbewerb, bei dem sich die besten jungen Logistikunternehmen aus allen Bundesländern um einen Preis bewerben. Cellumation, nominiert von Starthaus Bremen & Bremerhaven, hat sich gegen alle anderen durchgesetzt und ist Sieger des Contests geworden.

An einer Gründung interessiert? Schreibt uns gern eine Mail an info@starthaus-bremen.de oder ruft uns unter +49 (0)421 9600 372 an, wenn ihr Fragen zu eurer Gründung(sidee) habt. Wir haben die Antworten.

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