IKOJENIA – Familienhilfe mit Wertschätzung
Social EntrepreneurshipJacob Menge und Katrin Nitsche gründen eigene ambulante Kinder- und Jugendhilfe
Manche Familien benötigen zu Hause Unterstützung. Die Arbeit in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe ist anstrengend – vor allem psychisch. Aber auch essentiell für die Gesellschaft. Damit es den Familien, aber vor allem auch den Angestellten in ihrer täglichen Arbeit gut geht, haben Jacob Menge und Katrin Nitsche ihren eigenen Träger für ambulante Familienhilfe gegründet. Der Name „IKOJENIA“ hat in vielerlei Hinsicht mit Familie und Wurzeln zu tun.
In Bremen geboren und aufgewachsen, arbeitet Jacob Menge bereits seit einigen Jahren in der offenen Jugendarbeit, der Schulbegleitung und der ambulanten Erziehungshilfe. Hier trifft er 2022 auf seine Vorgesetzte Katrin Nitsche, die nach vielen Jahren in der ambulanten Hilfe immer noch für ihren Job brennt: „Ja, unser Job ist harte Arbeit, vor allem psychisch. Aber ich gehe abends nach Hause und weiß, dass ich einen tollen Beitrag für die Gesellschaft leiste. Das spornt mich immer noch an.“
Über Umwege zur Leitung in Worpswede
Katrin wurde in Nordrhein-Westfalen geboren und lebte einige Jahre in Griechenland, der Heimat ihrer Mutter. Zurück in NRW lernte sie ihren Ehemann kennen und beide bekamen gemeinsam zwei Töchter. Sie machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und arbeitete nebenbei stationär in einer Mutter-Kind-Einrichtung. Aus beruflichen Gründen zog sie mit ihrer Familie ins Künstlerdorf Worpswede: „Ich startete als Angestellte in einer ambulanten Jugendhilfe, arbeitete mich immer weiter nach oben bis ich letztendlich die Leitung übernahm“, erzählt die heute 48-Jährige stolz.
Gute Arbeitsbedingungen sollte Priorität haben
In seinen verschiedenen Arbeitsstationen hat auch Jacob viel gesehen – sowohl bei den betreuten Kindern und Jugendlichen, als auch bei seinen Kolleginnen und Kollegen. „Wir tun alle unser Bestes und versuchen so gut wie möglich die Familien zu unterstützen. Aber bei diesem Job gibt es keinen richtigen Feierabend. Die Arbeit begleitet einen oft auch in die Abendstunden“, erzählt der 31-Jährige. Er hat viele Ideen, wie Träger ihre Angestellten besser unterstützen könnten. Warum das bisher bei anderen Häusern keine Priorität hat, kann er selbst nicht beantworten: „Mich wundert es auch, dass die verschiedenen Träger sich kaum die Mühe machen und in bessere Arbeitsbedingungen investieren. Man kann sich viel aus der Wirtschaft abschauen und damit als Arbeitgeber den Angestellten ganz andere Möglichkeiten bieten“, ist sich der Sozialpädagoge sicher.
Mit der Idee, es „besser“ zu machen, einen eigenen Träger zu gründen, der den Angestellten mehr bietet, trifft er im vergangenen Jahr bei Katrin auf offene Ohren. Durch ihre Erfahrung kennt sie die Tücken des Jobs nur zu gut, Jacobs Ideen findet sie super. So beschließen beide gemeinsam einen neuen Träger zu gründen. Einfach ist das aber leider nicht.
Die ersten Schritte zum eigenen Träger
Wie bei jeder Gründung müssen anfangs einmal alle Gedanken sortiert und zu Papier gebracht werden. „Ein Freund riet mir ins Starthaus zu gehen, um beim Businessplan kostenfrei Hilfe zu bekommen. Aus einem Termin beim Starthelfer wurden mehrere und ich konnte an vielen Stellen dazulernen und unser Konzept ausfeilen“, freut sich Jacob über die Erfahrung. Bei der reinen Businessplan-Beratung blieb es aber nicht. So beantragte er außerdem erfolgreich den ERP-Bremer Förderkredit über das Starthaus. Eine finanzielle Starthilfe, die sie gut gebrauchen können.
Worüber sich die Beiden keine Gedanken machen müssen, ist die Kundengewinnung. Denn es gibt nur den einen Kunden: das Amt für Soziale Dienste, auch Jugendamt genannt. Von hier kommen die Aufträge, wenn die ambulante Familienhilfe Kinder, Jugendliche und ihre Erziehungsberechtigten unterstützen sollen. „Mit der ambulanten Hilfe versucht das Amt die Kinder so lange wie möglich in ihren gewohnten Umgebungen und bei ihren Familien zu lassen, um sie möglichst nicht weiter zu traumatisieren“, erklärt Jacob. Und von diesen „Aufträgen“ gibt es leider genug. Ist die ambulante Hilfe trotz aller Bemühungen nicht mehr vertretbar, kommt das Kind in einen stationären Aufenthalt. Auch hier gibt es umsorgende Angestellte, die sich um die Kinder und Jugendliche kümmern, bis diese im besten Falle wieder nach Hause gehen können. Oftmals folgt dann eine anschließende Betreuung – wieder durch die ambulante Hilfe.
IKOJENIA – Von Familien für Familien
Der Name des neuen Trägers lautet „IKOJENIA“. Was bedeutet das? „‚Ikojenia‘ ist ein griechisches Wort und heißt Familie“, erklärt Katrin. „Mit dem Namen verbinden wir meine griechischen Wurzeln mit dem, was bei uns im Zentrum steht: den Familien.“ Jacob ergänzt: „Zusätzlich wollen wir als Träger Arbeitsbedingungen schaffen, die attraktiv für unsere zukünftigen Angestellten sind – über das Finanzielle hinaus.“ Neben der finanziellen Wertschätzung ist den beiden Gründer:innen wichtig, den Pädagoginnen und Pädagogen Unterstützung durch Weiterbildungen und Supervision zu bieten. „Work-Life-Balance klingt fast schon abgedroschen“, schmunzelt Jacob. „Aber in unserem Berufsfeld war das bisher kaum möglich.“ So will IKOJENIA auch diejenigen ansprechen, die in der ambulanten Familienhilfe arbeiten und selbst eine Familie gründen wollen. „Das darf sich nicht widersprechen“, ist das Gründungsteam sicher.
Das Ziel von Katrin und Jacob: „Leute sollen sagen: Bei IKOJENIA möchte ich gern arbeiten.“ Als Arbeitgeber erwarten beide trotzdem gute Arbeit und eine Begeisterung für die Aufgaben. Dafür ist es ihnen wichtig, mit den Angestellten zu interagieren und den Menschen zu sehen – nicht nur das anonyme Personal. „Wir wollen vermeiden, dass unsere Angestellten überlastet sind und ihre Werte nicht beachtet werden. Sie sollen sich selbst nicht verlieren.“
Gemeinsam gründen
Die Entscheidung nicht alleine, sondern zu zweit zu gründen, war für Katrin und Jacob genau richtig. „Klar, haben mich Freunde komisch angeguckt und gefragt, warum ich mit meiner Erfahrung nicht alleine gründe, sondern einen Teil des Kuchens abgeben will“, erzählt Katrin. „Aber mir geht es ja nicht primär ums Geld verdienen. Das ist wichtig, keine Frage. Was aber mehr zählt, ist dass Jacob neue Ideen, frischen Wind und seine eigenen Erfahrungen mit einbringt. Ich wiederum bringe sehr viel Erfahrung, auch in der Leitung mit. Wo ich etwas vorsichtiger, realistischer denke, ist Jacob optimistisch und bleibt am Ball. Wir ergänzen uns einfach super.“
Auch für Jacob steht fest, dass er nicht gern alleine gegründet hätte: „Wenn man sich mit dem Businessplan und den bürokratischen Voraussetzungen auseinandersetzen muss, merkt man erstmal, was einem alles an Wissen fehlt“, gibt der Gründer zu. „Umso besser, dass wir uns Aufgaben teilen können.“
Es geht los
Nachdem die Senatorische Behörde die Unterlagen von Katrin und Jacob geprüft hat und die Leistungs- und Entgeltvereinbarung in den letzten Zügen sind, ging es für die Gründer:innen auf die Suche nach einer geeigneten Location. Und die haben sie in der Überseestadt gefunden: Seit dem 1. April ist das IKOJENIA-Team an der Adresse An der Reeperbahn 6 in Bremen zu finden. Hier befindet sich das Teamoffice. Sobald alle Regularien geklärt sind, starten sie durch. So kann die Arbeit bei den Familien vorraussichtlich im Juni 2024 beginnen.
Tipps für Gründende
„Das fehlende Wissen in einigen Bereichen der Gründung gehörte neben den bürokratischen Anforderungen zu den größten Herausforderungen“, erinnert sich Jacob. Sein Tipp für Gründer:innen: „Kennt eure Stärken und bringt diese mit ein! Bei Bereichen, in denen ihr unsicher seid, lest euch viel Wissen an und lasst euch beraten. Es gibt viele tolle Netzwerke und Anlaufstellen in Bremen wie das Starthaus, die man kostenfrei nutzen kann.“
Katrin ergänzt: „Man sollte sich nie aus rein wirtschaftlichen Gründen selbstständig machen, sondern man muss einfach für eine Sache brennen. Auch die Persönlichkeit und die eigenen Interessen sollten zur Gründung passen.“
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