14.9.2022 - Lisa Lubrich

„Gemeinwohlökonomie sollte kein nettes Label sein, das man sich kauft, sondern eine echte Veränderung!“

Social Entrepreneurship

Amon Thein ist Gründer und Inhaber von Schwarzseher, der ersten gemeinwohl-orientierten Filmproduktionsfirma der Welt

Amon Thein, Gründer von Schwarzseher
Amon Thein ist der Gründer von Schwarzseher, das seit 2021 gemeinwohlbilanziert ist und seitdem stark wächst. © SOUL PHOTO Johannes Bichmann

Die Schwarzseher GmbH ist seit zwei Jahren ein Gemeinwohl-Unternehmen, sie richtet ihr unternehmerisches Handeln nachhaltig und sozial am Ziel des Gemeinwohls aus. Seitdem verdoppelte sich ihr Umsatz wie auch die Zahl der Mitarbeiter:innen – ein Effekt, den der Gründer Amon Thein auch der Bilanzierung und den damit angestoßenen Prozessen zuschreibt. In Workshops und Vorträgen gibt der Autodidakt seine Erkenntnisse und praktischen Tipps gern weiter – immer mit der Hoffnung, noch mehr Unternehmen zu motivieren, diesen Weg gemeinsam zu gehen.

Was ist eine Gemeinwohl-Bilanz?

Gemeinwohlökonomie bezeichnet ein alternatives Wirtschaftssystem, in dem das höchste Ziel die Steigerung des Gemeinwohls ist, „das gute Leben für alle“. Statt auf Konkurrenz und Profitmaximierung baut es auf gemeinwohlfördernde Werte wie Kooperation, Solidarität und Verantwortung. Das Modell geht zurück auf ein Buch von Christian Felber, das 2010 erschienen ist, und orientiert sich unter anderem an den 17 Entwicklungszielen der UN. Anhand der Gemeinwohl-Bilanz wird der Fortschritt eines Unternehmens zur Gemeinwohl-Ökonomie gemessen: Je besser ein Unternehmen nach sozialen, ökologischen, solidarischen und demokratischen Werten handelt, desto besser ist seine Gemeinwohl-Bilanz.

Amon, bitte stelle dich und dein Unternehmen Schwarzseher einmal kurz vor:

Amon Thein: Schwarzseher ist eine 16-köpfige Filmproduktion, welche die Zielgruppe ihrer Kund:innen in den Fokus nimmt. Wir wollen die Zielgruppe nachhaltig begeistern und einen echten Nutzen und langfristige, gute Beziehungen schaffen, zum Beispiel die richtigen Mitarbeiter:innen begeistern, Wunsch-Kund:innen gewinnen oder komplexe Sachen verständlich machen. Unsere Filme wecken Interesse, schaffen Vertrauen und knüpfen die richtigen Kontakte. Ich selbst habe das Unternehmen vor 15 Jahren als autodidaktischer Filmemacher gegründet, mit der Vision, das Unternehmen zu bauen, in dem ich selbst am liebsten arbeiten würde.

Du hast für das gemeinsame Programm von Starthaus und Social Impact Lab Bremen „Social Entrepreneur by Starthaus – Wirksam Gründen“ schon Workshops und Vorträge gehalten, unter anderem zum Thema Storytelling. Wie kam es zu dem Kontakt?

Amon: Ich habe mit Hanna Ehlert [Standortleiterin Social Impact Lab Bremen] in der Vergangenheit schon viele Schnittpunkte gehabt und das Social Impact Lab Bremen als einen Ort kennengelernt, der leidenschaftlich für nachhaltige, gemeinwohlorientierte Unternehmen eintritt. Ich fand die Idee toll, den Sozialunternehmen in einem Storytelling-Workshops die Basics für eine gute Kommunikation mit ihrer Zielgruppe zu vermitteln. Storytelling für gute Sachen, besser geht es doch fast nicht. Und ich liebe es, unsere praktischen Erfahrungen als erste gemeinwohlbilanzierte Filmproduktion weiterzugeben.

Schwarzseher ist laut eurer Website die erste gemeinwohlbilanzierte Filmproduktion der Welt. Was genau bedeutet das?

Amon: Für uns bedeutet das, dass wir viele kleine richtige Schritte gehen wollen, um einen „One-Planet-Lifestyle“ zu erreichen, wie wir das nennen. Die GWÖ-Bilanz ist für uns ein praktisches Tool, um zu sehen, wo wir stehen und wohin wir uns weiterentwickeln wollen. Eine Art Navigation also, die eng mit all unseren Unternehmenszielen verzahnt ist. Es ist nicht leicht als Unternehmen in einer Welt zu agieren, die auf wirtschaftliches Denken und Profitstreben ausgerichtet ist. Die Welt ist kein weißes Blatt Papier, wo man alles von Grund auf neu erfinden kann. Deshalb ist es unser Antrieb, die Wirtschaft von innen heraus zu verändern – und da sind wir ja zum Glück nicht die einzigen. Wir sehen uns als Teil einer weltweiten Bewegung.

Warum findest du es relevant, dich als Unternehmer so auszurichten?

Amon: Ich möchte unseren Planeten nicht nur in der Freizeit schützen, da ist man sehr limitiert – ich denke da an Demos, Briefe an Politiker:innen, sowas. Ich möchte den Planeten daher gerne auch in der Arbeitszeit retten. Unternehmen sind nicht nur ein großer Teil des Problems, sondern zugleich eben auch ein riesiger Hebel zur Lösung. Ich möchte selbst herausfinden, was wir als Unternehmen für einen #oneplanetlifestyle ausrichten können.

Welchen Nutzen hat das, welche Potenziale für deine Firma ergeben sich aus dieser Art des Wirtschaftens? Was erhoffst du dir (persönlich) davon?

Amon: Auf diese Art zu wirtschaften, also neben der wirtschaftlichen auch die soziale und ökologische Nachhaltigkeit anzustreben, ist ein Minusgeschäft, wenn man auf die Zahlen guckt. Keine öffentliche Ausschreibung, keine Kreditgebenden und meist zahlen auch keine Kund:innen dafür mehr. Da gehen Stunden, Kraft, Energie und Geld ein. Aber gleichzeitig ist unsere Erfahrung auch, dass es die Aufmerksamkeit für das Unternehmen steigert und einen positiven Impact in den Bereichen Kund:innengewinnung, Mitarbeiter:innengewinnung gibt und damit auch der Umsatz gesteigert wird. Für alle mit BWL-Hintergrund gibt es also durchaus auch finanzielle Gründe. Ich persönlich habe dadurch spannenderweise überhaupt erst begonnen, auch die Wirtschaftlichkeit stärker in den Fokus zu nehmen. Haben wir Mittel, um zu investieren? Gehälter zu erhöhen? Das finde ich eine spannende Reise, diese drei Säulen gleichzeitig zu beackern.

Das Team von Schwarzseher
Seit der Gemeinwohl-Bilanzierung hat sich das Team der Schwarzseher GmbH verdoppelt.

Welche anderen Tools nutzt ihr? Wie organisiert ihr euch?

Amon: Ich bin ein Freund davon, die Dinge zu nutzen, die es schon gibt, diese sinnvoll zu kombinieren und dann selbst das zu erfinden, was einem fehlt. So nutzen wir zum Beispiel Ideen und Formate aus dem „Loop Approach“, einer sehr praktischen Kondensierung vieler New Work-Frameworks. Oder auch den „Design-Sprint“, bei dem Design Thinking verwendet wird. Ein weiteres Beispiel wäre ein Tool wie der „Spannungsspeicher“, mit dem wir Meetings viel wirkungsvoller und energiespendender verbringen. Über allem steht das Ziel, einen guten Nutzen für unsere Kund:innen zu schaffen und Freude bei der Arbeit zu haben. Wir arbeiten in Rollen statt festen Funktionen, dadurch haben alle die Möglichkeit, ihre Stärken gut einzusetzen und genau an den Stellen zu helfen, wo sie am besten sind. Ich bin zum Beispiel in der Kund:innenberatung, entwickle Ideen, schreibe im Marketing, helfe im Vertrieb, halte Vorträge und Workshops und bin in der Geschäftsführung. Das ist genau das, was mir in der Kombination Freude macht.

Was klappt gut, was weniger gut? Was kannst du empfehlen?

Amon: Was sehr gut klappt mit der Gemeinwohl-Bilanzierung, ist der Überblick über Stärken und Schwächen im Unternehmen. Außerdem der konstruktive Ansatz, nämlich überall Ziele für die nächsten Schritte festzulegen, also zum IST auch das SOLL dazu zunehmen. Überhaupt die ganzheitliche Denke mit Berührungsgruppen, also darauf zu schauen, mit wem man wo zu tun hat. Lieferant:innen, Kund:innen, Mitarbeiter:innen und weitere. Mir gefällt auch, dass diese Bilanzierung diejenige ist, die am meisten die Nachhaltigkeitsziele der UN integriert hat. Aus meiner Sicht ist es damit ein sehr vollständiges Tool, mit dem man immer weiterarbeiten kann. Mir ist es teils noch zu textlastig und manche Fragen könnten noch geschärft werden. Das Gute ist allerdings, dass das Tool immer weiterentwickelt wird und damit sicher auch immer besser werden wird. Im Austausch mit anderen Unternehmen, die bilanziert haben, wird auch klar, dass es für alle Unternehmensgrößen geeignet ist. Und mehr als das: Gemeinden, Kommunen, Schulen, alle können es nutzen. Ich kann es nur empfehlen.

Wie erfolgreich ist Schwarzseher damit?

Amon: Es zahlt eindeutig positiv auf die öffentliche Wahrnehmung ein. Wir sind viel im Austausch, es wird über uns berichtet und wir bekommen auch mehr Anfragen von Kund:innen. Besonders fällt auch der Zuwachs an Personal auf, das wir gewonnen haben – ohne zu suchen, sie kamen alle auf uns zu. Wir haben uns damit personell verdoppelt – und nichts anders gemacht als vorher, eben nur die Bilanzierung und davon erzählt.

Was empfiehlst du Neueinsteiger:innen? Und gibt es etwas, was du gerne vorher gewusst hättest und nun als Rat weitergeben kannst?

Amon: Ich empfehle, die Peer-Group-Bilanzierung zu wählen, weil es dort einen tollen Austausch mit den anderen Unternehmen gibt, mit denen man zusammen im Bilanzierungsprozess ist. Jede:r geht anders mit Problemen um und kommt zu anderen Lösungen, das ist sehr inspirierend. Ebenso empfehle ich auch mit anderen Unternehmer:innen im Austausch zu sein, deren Wege und Visionen zu hören. Das hat mir wirklich große Freude gemacht. Den Zeitaufwand kannte ich vorher nicht, das war aber mit knapp 250 Stunden von meiner Seite okay. Gut finde ich den Auditierungsprozess, wo am Ende nochmal die Plausibilität geprüft wird – und damit Greenwashing unmöglich wird. Das war mir eines der wichtigsten Anliegen: Es sollte kein nettes Label sein, das man sich kauft, sondern eine echte Veränderung. Das hat geklappt!

Was sind eure weiteren Ziele?

Amon: Gerade bereiten wir nun die zweite Bilanzierung vor und wollen noch mehr Fokus darauf legen, alle Mitarbeiter:innen zu beteiligen, damit die Umsetzung noch alltagspraktischer wird und ganz nah an den tatsächlichen Herausforderungen liegt.

Vielen Dank für deine Einblicke, lieber Amon, viel Erfolg weiter und bis bald beim großen GWÖ-Abend am 21.09.!

An einer Gründung interessiert? Schreibt uns gern eine Mail an info@starthaus-bremen.de oder ruft uns unter +49 (0)421 9600 372 an, wenn ihr Fragen zu eurer Gründung(sidee) habt. Wir haben die Antworten.

Erfolgsgeschichten


Social Entrepreneurship
27.08.2024
„Dieses Mal wollen wir es anders und besser machen.“

Nach der Auflösung ihres ersten Unternehmens PARU GmbH standen Erik Ruge und Paul Kukolka vor der Entscheidung: Aufgeben oder neu anfangen? Sie entschieden sich für den Neuanfang und gründeten Casca Minga, ein Unternehmen, das koffeinhaltige Erfrischungsgetränke aus der Schale der Kaffeekirsche herstellt. Sie erzählen im Interview, wie sie aus Fehlern gelernt und mit frischer Energie einen zweiten Anlauf gewagt haben.

zum Artikel
Erfolgsgeschichten
21.06.2024
Mit Solar-Selbstbau zur Energiewende

Christian Gutsche kämpft für eine Energie- und Wirtschaftswende – und setzt dabei auf Solaranlagen im Gemeinschaftsbau und ein solidarisches Preissystem. Dafür wurde der Sozialunternehmer nun mit dem Bremer Gründungspreis ausgezeichnet.

Zum Artikel
Social Entrepreneurship
03.04.2024
IKOJENIA – Familienhilfe mit Wertschätzung

Die Arbeit in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe ist anstrengend – vor allem psychisch. Aber auch essentiell und sinnstiftend. Damit die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden besser werden, haben Jacob Menge und Katrin Nitsche ihren eigenen Träger für Familienhilfe gegründet. Der Name „IKOJENIA“ hat in vielerlei Hinsicht mit Familie und Wurzeln zu tun. Womit genau, hat uns das Gründungsduo im Interview erzählt.

Zum Artikel