„Es muss einen geben, der anfängt. Und das sind wir“
Finanzierungmarinom entwickelt autonome Technologien für die maritime Branche
Die maritime Branche steht noch ganz am Anfang ihrer Digitalisierung und der heilige Gral – das völlig autonom fahrende Schiff – scheint noch weit. Aber ist das wirklich so? Und wie gestaltet man den Weg dahin mit? Das wissen Dr. Arne Kraft und Dr. Alexander Jeschke von marinom.
Die beiden erfahrenen Ingenieure starteten Anfang 2021 mit ihrer Firma für autonome Systeme in der maritimen Branche. Ein Jahr später können sie bereits auf zehn Angestellte und die ersten erfolgreich angelaufenen Projekte zurückblicken. Sie unterstützen Reedereien, Werften, Hafenbetriebsgesellschaften oder maritime Dienstleister dabei, autonome Systeme zu entwickeln und in anwendungsfähige Produkte umzusetzen. Diese werden dann in Schiffen, Unterwasserrobotern oder im Betriebsmanagement eingesetzt.
Zwei, die wissen, wovon sie sprechen. Wir haben uns mit ihnen über maritime Technologien und den Weg ins eigene Unternehmen unterhalten.
Herr Dr. Kraft, Herr Dr. Jeschke, eine Schlagzeile machte im April die Runde: Das erste völlig autonom fahrende kommerzielle Schiff – die norwegische Yara Birkeland – hat seinen Testbetrieb aufgenommen. Ist das der Beginn der autonomen Schifffahrt? Oder nur ein kleiner Schritt auf dem langen Weg dahin?
Dr. Kraft: Von der Technologie-Seite sind wir gar nicht so weit entfernt, Demonstratoren wie die Yara Birkeland beweisen das. Aber: Das Schiff pendelt nur zwischen zwei kleinen Häfen in Norwegen und navigiert nicht durch den viel befahrenen Ärmelkanal. Das ist technologisch eine ganz andere Herausforderung.
Was heute vielfach passiert, ist, dass kleine Boote autonom ausgestaltet werden, ob nun im militärischen Bereich oder für die Offshore-Windkraft. Die Boote sind nicht zu groß, um was kaputt zu machen und klein genug, um schnell und unkompliziert Prototypen zu bauen.
Dr. Jeschke: Aber bei großen Schiffen stehen wir jetzt, wo die Autos 1990 standen. Vorher befand sich die Mechanik im Vordergrund, jetzt kommen die digitalen Systeme hinein. Die Häfen, Fahrwege, die Synchronisierung, das Trafficmanagement – von all diesen Seiten kommen neue Anforderungen an die Elektronik im Schiff dazu. Und das alles zusammenzuschalten und den Menschen dabei nicht zu überfordern, das wird jetzt kommen. Wir stehen also an einer großen Schwelle.
Der Branche wird oft nachgesagt, recht konservativ und langsam zu sein…
Dr. Kraft: Schiffe haben im Gegensatz zu einem Auto eine lange Lebensdauer von 30 oder noch mehr Jahren. Neue Systeme etablieren sich also langsam und müssen in bestehende Schiffe eingebaut werden, denn es gibt im Vergleich nur wenige Neubauten.
Dr. Jeschke: Neue Technologien werden häufig erst dann eingesetzt, wenn es entweder zu neuen Richtlinien und Regularien kommt oder wenn sie etwas ganz konkret einsparen und effizienter machen. In der Schifffahrt hat die Branche bereits viel optimiert, die Margen sind sehr klein, deshalb geht es hier langsamer zu als in anderen Branchen. Es muss einen geben, der anfängt.
Wer kann das sein?
Dr. Kraft: Große Firmen reagieren träge – sie haben zwar die Daten und das Kapital – aber sie bringen selbst wenig an den Start. Innovation kommen eher aus dem Mittelstand, die kommen mit den guten Ideen.
Das war auch unsere Idee: Wir wollen Kompetenz in einer Technologie aufbauen, von der wir wissen, dass Werften und große Technologiezulieferer diese brauchen. Man braucht jemanden, der das unternehmerische Risiko trägt und das macht eher der Mittelstand.
Und genau die wollen Sie mit Ihren Dienstleistungen rund um die autonome und digitalisierte maritime Wirtschaft unterstützen?
Dr. Kraft: Genau. Kleine und mittelständische Firmen haben Probleme, Technologieentwicklungen bis zum fertigen Produkt voranzutreiben. Viel Forschung und Innovation wird heute über Förderprojekte gemacht. In diesen Projekten dürfen neue Technologien aber nur bis zu einem gewissen Reifheitsgrad entwickelt werden. Das endet meistens im Demonstratoren-Stadium. Und dann fehlen die Ressourcen und der Wille, danach eigenständig weiterzumachen.
Dr. Jeschke: Wir wollen die Lücke zwischen Forschungsprojekt und fertigem Produkt füllen. Wir gehen quasi in Vorleistung: Wir bilden die Leute aus, die mit modernen Technologien unser Leistungsangebot ausweiten. Und können diese dann zusammen mit den Unternehmen an deren Projekte setzen. Unser Ziel ist das Produkt des Kunden – wir wollen Technologien in die Anwendung bringen.
Sie verleihen Ihre Ingenieurinnen und Ingenieure aber nicht?
Dr. Kraft: Nein. Wir wollen mit den Unternehmen zusammenarbeiten, die sich keine eigene Entwicklungsabteilung leisten können, aber auch keine passenden Produkte am Markt finden. Oder die hauseigenen Entwicklungsabteilungen ergänzen, wenn das angedachte Projekt zu groß wird. Wir entwickeln mit den Unternehmen zusammen neue Produkte, die sie dann selbst verwenden können.
Was für Projekte können das sein?
Dr. Jeschke: Wir arbeiten zum Beispiel in einem durch das Land Bremen geförderten Projekt im Unterwasserbereich daran, dass wir Kamerabilder mit Deep Learning, einer Technologie aus dem Bereich des maschinellen Lernens, automatisch so auswerten, dass die KI Unterwasserbewuchs an Windkraftanlagenfundamenten erkennt. Gleichzeitig wollen wir dieselbe Technologie dazu nutzen, Seezeichen autonom zu erkennen. Dies könnten dann als ein Assistenzsystem auf der Brücke dienen.
Kleine Schritte führen also zum Ziel – wird es, sagen wir 2050, das vollautonome Schiff geben?
Dr. Kraft: Ich bin mir sicher, dass sich bis dahin extrem viel tut. Schiffe werden komplett umgebaut, um klimaneutral zu werden und dabei kommt neue Technologie mit rein. Aber vollautonom? Der Mensch wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Auch 2050 wird es noch Menschen an Bord geben, aber nicht mehr so viele, es wird viel mehr über Datenaustausch und Remote Work geregelt. Vielleicht gibt es eine Kapitänin, die vom heimischen Büro aus mehreren Schiffe überwacht. Aber allein schon für die Wartung der Elektronik und Mechanik an Bord wird es Fachpersonal auf See geben müssen.
Für Ihr Geschäftsmodell brauchen Sie Expertinnen und Experten aus vielen Bereichen, sowohl der Schifffahrt als auch der Künstlichen Intelligenz, Datenanalyse, Softwareentwicklung – wo kommen die her?
Dr. Kraft: Wir wissen, dass wir keine fertigen Leute kriegen – denn der ganze Bereich maritimer Autonomie ist noch jung. Unser Ansatz ist: Wir bringen Seniorexpertinnen und -experten mit Industrieerfahrung mit Absolventen oder jungen Fachkräften zusammen, die mit frischen Ideen von den Unis kommen. Zudem beschäftigen wir zwei Auszubildende im Bereich Softwareapplikation, die von der Pike auf das Thema lernen. Wir sind in einem Jahr von null auf zwölf Arbeitskräfte gewachsen – und wollen 30-50 in absehbarer Zeit einstellen.
In Zeiten von Fachkräftemangel klingt das schon fast nach einer unlösbaren Aufgabe.
Dr. Kraft: Unser Thema – autonome Systeme – ist sehr attraktiv, das zieht Technikbegeisterte an. Zudem sitzen wir hier in Bremen. Das ist ein Standortvorteil für uns, die Nähe zu den Branchen-Unternehmen und wissenschaftlichen Instituten in Bremen, aber auch in Oldenburg und Wilhelmshaven, das passt einfach perfekt für uns.
Dr. Jeschke: Wir arbeiten etwa mit den Hochschulen zusammen. So schreibt ein Student aus Wilhelmshaven seine Masterarbeit bei uns. Zudem sind wir Partner vom Bremer KI-Netzwerk Bremen.AI, engagieren uns im Maritimen Cluster Norddeutschland oder genießen die Nähe zu den Institutionen im neuen Digital Hub Industry. Diese Infrastruktur ist wichtig für uns. Auch wenn wir uns manchmal vor lauter Networking zurücknehmen müssen, um noch zum Arbeiten zu kommen (lacht). Aber das ist ja auch das Schöne hier in Bremen.
Das Starthaus Bremen ist über den EFRE-Beteiligungsfonds Anteilseigner bei marinom. Wie hat sich für Sie die Gründungsphase gestaltet?
Dr. Kraft: Alexander Jeschke ist Bremer und ich habe viele Jahre in Bremen gearbeitet – wir kannten das Land und das Umfeld, deshalb wollten wir gerne hier gründen. Als wir 2020 die Idee hatten, haben wir das Starthaus als Investor gefunden, das hat für uns perfekt gepasst. Durch Kontakte der Mitarbeiter:innen im Starthaus konnten wir gute Verbindungen knüpfen und auch erste Aufträge generieren. Auch die Zusammenarbeit mit dem Bremer Wirtschaftsressort war ideal, wir haben hier Unterstützung von vielen Seiten erhalten und fühlen uns ideal aufgehoben.
Vielen Dank für das Gespräch!
An einer Gründung interessiert? Schreibt uns gern eine Mail an info@starthaus-bremen.de oder ruft uns unter +49 (0)421 9600 372 an, wenn ihr Fragen zu eurer Gründung(sidee) habt. Wir haben die Antworten.
Über den EFRE-Beteiligungsfonds
Junge Unternehmen in den ersten Gründungsjahren unterstützen – das ist das Ziel des EFRE-Beteiligungsfonds. Er bietet offene Beteiligungen sowie ergänzende Nachrangdarlehen zur Finanzierung von jungen, innovativen Unternehmen.
Dabei fördert er die unterschiedlichsten Investitionen: Produktentwicklung, Betriebsmittel, Ausweitung des Geschäftsbetriebs, neue Technologien und Maschinen, vieles ist denkbar.
Hinzu kommt jeder Menge betriebswirtschaftliches Know-how und wertvolle Kontakte des Beteiligungskapital-Teams. Sie sind für junge Unternehmen oft ebenso wertvoll wie die Beteiligung selbst.
Dieses Programm wird von der EU kofinanziert. Die Mittel stammen aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE).
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