Hoffnung für Krebspatienten aus Bremen
Starthaus BeratungZwei Bremerinnen wollen mit einem neuen Test die Hodenkrebsbehandlung entscheidend verbessern. Die Coronakrise verzögert die Marktreife auf den letzten Metern – trotzdem blicken sie optimistisch in die Zukunft.
„Medizintechnik ist so ziemlich das Schwierigste, was man als Start-up machen kann“ – Meike Spiekermann und ihre Mitgründerin, Dr. Nina Winter, wissen, wovon sie sprechen. Sie blicken mittlerweile auf sieben bewegte Jahre mit ihrem Start-up mir|detect zurück.
2013 stellten sie den ersten Förderantrag für ihr revolutionäres Produkt, 2016 konnten sie mit dem Start der mir|detect GmbH endlich eine Gesellschaft gründen. Jetzt sind sie auf der Zielgeraden. Dazwischen liegen Jahre der Selbstständigkeit mit vielen Höhen und Tiefen, mit Glücksmomenten und Frustrationen.
Neuer Goldstandard für Hodenkrebs-Erkennung
Aber der Reihe nach: Die beiden Biologinnen lernten sich im ehemaligen Zentrum für Humangenetik der Universität Bremen kennen. Seit 2011 forschte Meike Spiekermann dort gemeinsam mit dem Bremer Wissenschaftler und Humangenetiker Dr. Gazanfer Belge in Kooperation mit dem Hamburger Urologen Prof. Klaus-Peter Dieckmann an einem neuartigen Marker für Hodenkrebs.
Marker sind Substanzen, die auf Krebs im Körper hinweisen. In diesem Fall ist es ein Molekül, das der Hodenkrebs an das Blut abgibt. „Bisherige Marker haben eine Genauigkeit von ca. 50 Prozent, mit dem von uns entwickelten, patentgeschützten Messverfahren schafft der neue Marker 90 bis 95 Prozent“, sagt Winter. Eine Zahl, die ihnen große Resonanz in der Fachwelt einbrachte. „Ärztinnen und Ärzte rennen uns regelmäßig die Bude ein, fragen ungeduldig, wann es den neuen Test endlich gibt“, freut sich Winter.
Eine gute Idee allein reicht nicht
Aus den Forschungsergebnissen ein marktfähiges Produkt zu entwickeln ist in der Medizin jedoch alles andere als einfach – das stellten auch Winter und Spiekermann in den vergangenen Jahren fest. Denn so überzeugend ihr Produkt medizinisch auch war, fiel es ihnen schwer, Investoren zu finden. Medizintechnikprodukte brauchen oft mehrere Jahre, bis sie reif für die Zulassung sind. Zeit, in der viel Geld und Arbeit in die Produktentwicklung fließt, ohne Umsätze zu erzeugen. Das schreckt viele Investoren ab.
„Zudem ist Hodenkrebs selten, es gibt in Deutschland circa 4.000 Fälle pro Jahr. Ein neues Produkt für eine kleine Zielgruppe zu entwickeln, ist sehr risikoreich“, sagt Spiekermann.
Vom Scheitern – und wieder aufstehen
2013, zu Beginn ihrer Reise, konnten sie Mittel aus dem EXIST-Forschungstransfer für sich gewinnen, das Gründungen aus Hochschulen unterstützt. 2016 wurde für ein Jahr die Förderphase II des Programms bewilligt. Die Anschlussfinanzierung durch private Investoren 2017 scheiterte dann jedoch vorerst – aus verschiedenen Gründen.
„Die Suche hat uns viel Zeit gekostet, es ging monatelang nur langsam weiter“, erinnert sich Winter. „Das ist auch persönlich schwer, als Selbstständige hat man ja sonst kein Einkommen. Man braucht gute Unterstützung und die richtige Motivation, um durchzuhalten.“ Das bestätigt auch Spiekermann: „Wir konnten ja nicht einfach aufhören, wir haben eine Verantwortung gegenüber den Ärztinnen und Ärzten, die auf das Produkt warten“, argumentiert die 34-Jährige leidenschaftlich. „Aber es gab immer Menschen, die an uns geglaubt haben, die uns in dieser Zeit geholfen haben, das war unheimlich wichtig.“
Mehr Frauenpower in der Medizin
Rückschläge, die nicht immer nur unternehmerischer Natur waren. So berichten sie, dass ihnen zu Anfang ihrer Gründung empfohlen wurde, unbedingt einen älteren, grauhaarigen Mann in die Geschäftsführung aufzunehmen, um bei diesem männlich besetzten Thema mehr Chancen bei Investoren zu haben. „Da haben wir nicht mitgemacht und siehe da, es hat trotzdem funktioniert!“, so Spiekermann selbstbewusst. Wer die beiden kennenlernt, merkt schnell: Sie lassen sich nicht unterbuttern.
In Bremen fanden sie auch Hilfe bei der BAB – Förderbank für Bremen und Bremerhaven. Zusammen mit dem High-Tech Gründerfonds Deutschland und einer privaten Investorin ist die Förderbank über die Beteiligungsgesellschaft der BAB mittels des EFRE-Beteiligungsfonds Bremen Ende 2018 in das junge Unternehmen eingestiegen. „Die Kommunikation ist wunderbar unbürokratisch, das hat uns sehr gefallen“, erzählt Winter. Ende 2019 konnten sie dann eine zweite Beteiligungsrunde erfolgreich abschließen – eine wichtige Finanzierung bis zur Marktreife.
Corona und Arbeitsplätze im Land Bremen
Wann es genau losgehen kann, können die beiden noch nicht sagen. Corona hat ihnen – wie so vielen anderen – einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Alle Labore in Deutschland sind mit Coronatests voll ausgelastet, es ist daher sehr schwer, Labore für unsere Tests zu gewinnen“, so Winter. Auch der Vertrieb gestaltet sich schwierig. „Derzeit sind alle wichtigen medizinischen Kongresse abgesagt, auf denen wir unser Produkt der Fachwelt hätten vorstellen wollen“, führt sie aus.
Trotz dieser Rückschläge ist das Team kräftig gewachsen. Sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt mir|detect, zwei weitere werden derzeit eingestellt. Anfang des Jahres bezog das Team neue Räumlichkeiten in Bremerhaven und richtete im Laufe des Jahres eine eigene Produktion in.
Parallel arbeiteten sie an der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems. Bis Ende 2020 soll die ISO 13485-Zertifizierung offiziell vorliegen – eine wichtige Hürde für jeden Hersteller von Medizintechnik. Und auch eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung bauten Winter und Spiekermann auf, die bereits an neuen Produkten forschen. „Wir haben viel mehr Arbeit als je zuvor und es freut uns, jetzt ein größeres Team beschäftigten zu können. Für mich ist es das Größte, von der Entdeckung bis zum Einsatz in der Medizin jeden Schritt mitzumachen. Je näher wir dem Ziel kommen, desto angespannter werden wir“, so Winter.
Blindes Vertrauen in die Fähigkeiten der Anderen
Eine Leistung, deren Erfolg auch in der Persönlichkeit der beiden Gründerinnen liegt. Die beiden vertrauen sich blind. „Wir kannten uns damals kaum, aber es hat einfach gepasst. Heute wissen wir: Jede entscheidet so, wie die andere auch entscheiden würde, wir wollen beide dasselbe“, sagt Spiekermann. Sie funken auf einer Wellenlänge.
Für die beiden Frauen geht mit ihrem eigenen Unternehmen ein Traum in Erfüllung. „Ich könnte mir gar nicht mehr vorstellen, als Angestellte zu arbeiten, auch wenn meine jetzige Arbeit nur noch wenig mit medizinischer Forschung und viel mit Geschäftsführung zu tun hat“, bekräftigt Winter. Das sieht auch Spiekermann ähnlich. „Wir werden tagtäglich in kalte Wasser geworden“, sagt die 34-jährige. „Das Wunderbare ist aber, dass man aus seinen Fehlern lernen kann und etwas Großartiges entsteht.“
Mit ihrem Test sind sie nun auf der Zielgeraden, konnten bereits eine CE-Kennzeichnung anmelden und arbeiten nun daran, in das Erstattungssystem der Krankenkassen aufgenommen zu werden. Ein wichtiger Schritt – denn erst dann kann der neue Test auch abgerechnet werden.
Ein weiteres Medizintechnikstart-up aus Bremen ist Purenum – das einen revolutionären Kleber für Nierensteine entwickelt hat.
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