„Jede Faser hat eine Beziehung zu den anderen!“
Social EntrepreneurshipJuie und Mo berichten über die Gründung ihres Sozialunternehmens Senzaan
Die einzelnen Fasern der Flecht- und Webprodukte von Senzaan unterstützen und verstärken sich gegenseitig, genauso wie Juie & Mo mit ihrem Geschäftsmodell die Lebensqualität der thailändischen Landbevölkerung verbessern. Sie haben uns erzählt, wie sie das schaffen, wie sie darauf gekommen sind und was sie sich für die Zukunft wünschen.
Jittinan Kitsumritiroj (Juie) und Chalat Worayanyong (Mo) haben im Juni 2021 ihren Online-Shop für Wohnaccessoires und Home-Deko gegründet. Unter dem Namen Senzaan verkaufen sie moderne, hochwertige und handgefertigte Design-Produkte wie Matten, Tischläufer, Tischsets, Wanddekoration und ähnliches. Diese werden in Thailand aus schnell nachwachsenden natürlichen Rohstoffen wie Zyperngras gefertigt. Den beiden ist es ein Anliegen, das lokale Handwerk vor Ort zu unterstützen und den Menschen in den ländlichen Regionen die Möglichkeit zu geben, von ihrer Arbeit leben zu können. Außerhalb der Erntezeit haben diese nämlich oft nur geringe Einkommen – wegen der Arbeitssuche ist Landflucht ein großes Problem. Juie und Mo legen besonderen Wert darauf, dass die Arbeitsbedingungen bei ihren Partner:innen einwandfrei sind und alle beteiligten Menschen von ihrem Projekt profitieren.
Hallo ihr beiden, bitte stellt euch doch einmal kurz vor, was macht ihr?
Mo: Hallo, ich bin Mo, ich habe einen Master in Musiktherapie von der Hochschule Heidelberg und bisher als Musiktherapeut gearbeitet. Neben der Musik interessiere ich mich für Kunst, Fotografie und übe mich in der Integration von Achtsamkeit in meinen Alltag.
Juie: Hallo, ich bin Juie, ich bin Designerin. Ich habe einen Master von der Hochschule für Künste Bremen und beschäftige mich gerne mit sozialen Themen wie zum Beispiel Inklusion und Co-Kreation. Meiner Meinung nach sollte ein gutes Design nicht nur seine Funktion erfüllen, sondern auch positive Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Menschen haben.
Mo: Ursprünglich kommen wir beide aus Thailand. Deutschland ist aber schon zu unserer zweiten Heimat geworden, da wir seit über zehn Jahren hier leben. Wir diskutieren gerne miteinander über buddhistische Philosophie, mögen minimalistisches Design und Kunstausstellungen mit diesem Schwerpunkt. Wir schätzen außerdem die traditionelle thailändische Flecht- und Webkunst – manchmal steht dies auch im Widerspruch zueinander…
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Senzaan zu gründen?
Juie: Anfang 2021 haben wir gemütlich auf dem Sofa gesessen und entschieden, zusammenzuziehen und uns gemeinsam selbstständig zu machen. Man könnte also sagen, dass unsere Beziehung der Grundstein für unsere Gründung war. Wir haben dann überlegt, welche Werte uns wichtig sind, wo unsere Interessen liegen und wie wir unsere zwei Heimaten Deutschland und Thailand miteinander verbinden können. Am Ende lag das Ergebnis auf der Hand: ein Sozialunternehmen für thailändisches Handwerk.
Mo: Aber wir wollten nicht nur Produkte verkaufen, sondern auch die Menschen in den ländlichen Regionen Thailands unterstützen. Deshalb nahmen wir Kontakt zu unseren Geschäftspartner:innen auf, den Communities und Handwerker:innen vor Ort. Gemeinsam mit ihnen arbeiten wir an dem Ziel, das Leben auf dem Land nachhaltig zu verbessern.
Mo: Hier liegt übrigens auch der Ursprung für den Namen unseres Unternehmens „Senzaan“. Senzaan ist nämlich eine Zusammensetzung aus zwei thailändischen Wörtern: „sen“ heißt „Linie, Faser“ und „zaan“ heißt „flechten“, Senzaan bedeutet also „geflochtene Linie“. Jede Faser hat eine Beziehung zu den anderen, die einzelnen Fasern unterstützen und verstärken sich gegenseitig. Diese Metapher spiegelt unsere Geschäftsidee sehr gut wider.
Was würdet ihr sagen, warum seid ihr ein Sozialunternehmen? Was wollt ihr in der Welt verändern?
Mo: In Thailand gibt es immer noch große soziale Ungleichheiten. Ein Problem ist, dass die jungen Leute vom Land in die großen Städte ziehen, um Jobs mit besserer Bezahlung zu finden. Dadurch verwaisen die Dörfer und sterben nach und nach aus. Das möchten wir verhindern oder zumindest verzögern.
Juie: Am wichtigsten dafür ist die Zusammenarbeit mit unserer Partnerfirma „Thorr“. Die Gründerin von Thorr ist eine ehemalige Kommilitonin von mir aus Thailand. Sie ist ebenfalls Designerin und engagiert sich bereits seit einiger Zeit im Sozialbereich. Der Firmensitz von Thorr ist in Amnat Charoen, einer Provinz im Nordosten Thailands. Die Hauptbeschäftigung der dortigen Dorfbewohner:innen ist die Landwirtschaft. Nach der Erntezeit ziehen die meisten Menschen in die großen Städte, um Arbeit zu finden und mehr Geld zu verdienen. Die meisten kommen dann leider nicht mehr zurück, da sie das Leben in der großen Stadt attraktiver finden, und die Dörfer vergreisen. Durch die Arbeit, die wir gemeinsam mit Thorr anbieten, bringen wir das Leben ins Dorf zurück. Denn die Bewohner können nun außerhalb der Erntezeit Geld verdienen und die jüngeren Generationen davon überzeugen, wieder nach Hause zurückzukehren.
Mo: Ein weiterer Punkt ist, dass Zyperngras („Kok“) früher nur als Unkraut und daher als nutzlos betrachtet wurde. Dabei ist Kok eigentlich ein nachhaltiger, schnell nachwachsender Rohstoff und seine zähen Fasern machen es zu einem natürlich langlebigen Material, welches bestens für unsere Zwecke geeignet ist. Hier in Europa kennt man Kok übrigens eher als Zimmerpflanzen.
Welche Schwierigkeiten gab es auf eurem Werdegang bzw. würdet ihr etwas anders machen, wenn ihr nochmal neu starten könntet?
Juie: Wir haben beide kaum Wirtschaftskenntnisse, daher sind wir ab und an überfordert, wenn es um Zahlen geht. Auch mit dem Thema E-Commerce haben wir uns vorher noch nie beschäftigt, also war der Aufbau der Website und des Online-Shops eine echte Herausforderung für uns. Vielleicht hätten wir vorher ein paar Kurse besuchen sollen, dann würde es uns jetzt leichter von der Hand gehen, aber wer weiß wie lange das gedauert hätte. Manchmal ist es auch besser, einfach anzufangen. Wir lernen immer gerne dazu!
Welche Erkenntnis (privat oder beruflich) war die wertvollste während des Aufbaus eures Unternehmens?
Mo: Dass es nicht einfach ist, gleichzeitig eine Paar- und eine Geschäftsbeziehung zu führen. Es kommt ja auch nicht häufig vor, dass Paare gemeinsam ein Unternehmen gründen. Es besteht immer die Gefahr, in Streit zu geraten, wenn man zu viel Stress auf der Arbeit hat und wir haben schon erwähnt, dass unsere Beziehung der Grundstein unseres Geschäfts ist... Ich gebe mir Mühe, unsere Beziehung nachhaltig zu bewahren, so geben Juie und ich uns rechtzeitig eine Rückmeldung, falls eine:r von uns zu viel Stress hat, um einen Paarkonflikt zu vermeiden. Dabei hilft mir meine langjährige Erfahrung als Musiktherapeut sehr. Darüber hinaus bin ich sehr glücklich, dass es sich auszahlt, dass ich mich seit Jahrzehnten intensiv mit Fotografie beschäftige. Denn nun kann ich meine Leidenschaft nutzen, um die Produkt- und Unternehmensfotos zu machen.
Juie: Als Designerin kümmere ich mich um den Look beziehungsweise den Auftritt unseres Unternehmens. Das betrifft alles, was ein Startup am Anfang so braucht: vom Logo über das Farbschema bis hin zu Webdesign, Printmedien und Social Media. Ich bin ja bereits selbstständig, gemeinsam mit einem Kollegen habe ich „hey ju design“, ein Designstudio mit sozialem Schwerpunkt, auf die Beine gestellt. Daher kann ich meine Erfahrung und mein bisheriges Netzwerk sowohl aus Thailand als auch hier aus Deutschland für Senzaan einbringen und schauen, was wir bei der Gründung brauchen oder berücksichtigen sollten. Die beiden Geschäfte sind allerdings sehr unterschiedlich, bei neuen Herausforderungen wie zum Beispiel Import und Zoll, Preiskalkulation oder Vertrieb müssen wir offen und flexibel sein.
Mo: Generell sind wir dankbar füreinander, denn jede:r von uns bringt seinen Charakter ein, hat Vorlieben und Fähigkeiten, die sich bei den verschiedenen Tätigkeiten gut ergänzen. Wir sind froh über unsere individuelle Offenheit, dass wir positive sowie negative Gefühle ansprechen und reflektieren können. Es wird nie langweilig bei uns.
Wie seid ihr auf unser Programm „Social Entrepreneur by Starthaus – Wirksam Gründen“ aufmerksam geworden? Was habt ihr daraus mitgenommen?
Juie: Ich bin seit einiger Zeit in der Social Entrepreneurship-Community unterwegs und habe dadurch die Angebote des Social Impact Labs Bremen und Uwe Wunder auf mehreren Veranstaltungen kennengelernt. Als wir Senzaan als Sozialunternehmen gründen wollten, haben wir gemerkt, dass uns noch bestimmte Kenntnisse und Feedback rund um das Konzept unseres Businessmodells und des Online-Shop-Geschäfts fehlten. Da unterscheidet sich das Dienstleistungs- und das Produktgeschäft doch erheblich. Aus diesem Grund habe ich Uwe um Unterstützung gebeten und wir wurden Teil des Programms „Wirksam Gründen“.
Mo: Durch Uwes Beratung haben wir uns selbst besser verstanden, wo wir als Sozialunternehmen stehen, was uns wichtig ist und welche Schritte wir als nächstes unternehmen sollten, um unsere Geschäftsidee umzusetzen.
Und zum Schluss ein Blick in die Zukunft, was wünscht ihr euch für euch selbst und euer Unternehmen?
Mo: Auf jeden Fall sollte unsere Beziehung noch gut funktionieren. Solange sie läuft, existiert auch Senzaan weiter. Aber nicht nur das, denn auch nur, wenn unser Geschäftsmodell die Communities in Thailand unterstützt und den dortigen Dorfbewohner:innen weiterhilft, können wir mit Senzaan weiter machen. Das ist wie eine Bestätigung unserer Idee, denn dadurch wissen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wenn wir das nicht mehr sind, dann müssen wir uns noch überlegen, ob wir uns umorientieren oder etwas umgestalten sollten.
Juie: Außerdem haben wir gemerkt, dass der Charme unserer Produkte durch die Fotos auf unseren Online-Kanälen nicht ausreichend rüberkommt, der haptische Touch und der besondere Geruch des Materials sowie die tatsächliche Qualität unserer Flechtkunst fehlen einfach. Wir arbeiten also gerade daran, Wege und Kooperationen zu finden, welche uns ermöglichen, die Produkte auch auf Offline-Veranstaltungen und anderen Showcases zu präsentieren.
Einen ersten Auftritt haben wir tatsächlich geplant. Am 12. Juni 2022 werden wir einen Stand auf dem „Viertel Meile Design Markt“ im Herzen der Reeperbahn in Hamburg haben. Wir freuen uns sehr darauf, euch die Produkte richtig zeigen zu können. Kommt gerne vorbei und nehmt unsere Produkte in die Hände, wir freuen uns auf euch!
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für euren Stand!
An einer Gründung interessiert? Schreibt uns gern eine Mail an info@starthaus-bremen.de oder ruft uns unter +49 (0)421 9600 372 an, wenn ihr Fragen zu eurer Gründung(sidee) habt. Wir haben die Antworten.
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