6.12.2024 - Annekathrin Gut

Vom Startup-Weekend zum Exit mit Weitsicht

Finanzierung

Wertvolle Tipps zum erfolgreichen Exit

Die Gründer:innen Louise and Marco
Die zwei Valispace Gründer:in Louise Lindblad und Marco Witzmann. © Valispace

Marco Witzmann hat seine Idee mit Hilfe von Venture Capital zum Fliegen gebracht. Was 2015 beim Startup-Weekend Space mit einer Vision begann, geht seit Frühjahr 2024 in die nächste Phase: Das Bremer Startup Valispace, gegründet von Marco Witzmann, Louise Lindblad und Simon Vanden Bussche, wurde vom amerikanisch-australischen Softwareunternehmen Altium übernommen. Die Kollaborationsplattform für Ingenieur:innen hat durch den erfolgreichen Exit das Potenzial, weltweit zu wachsen.

Der 36-Jährige ist zufrieden mit dem Deal. Schließlich sei das Gründungsteam immer dafür angetreten, Ingenieur:innen das Leben leichter zu machen: „Unsere Software wird hier nicht in der Schublade landen. Im Gegenteil: Dies ist der schnellste Weg, um an viele, viele, viele von ihnen heranzukommen und Impact zu haben. Aus eigener Kraft konnten wir den ersten Teil machen. Im gemeinsamen Zusammenarbeiten kommt der nächste Schritt.“ 

Lösung für Ingenieur:innen gesucht

Marco Witzmann studierte in München Maschinenbau mit Schwerpunkt Raumfahrttechnik sowie Elektronik/Informatik und arbeitete anschließend drei Jahre als Satelliten-Ingenieur bei OHB System in Bremen. Bei einem internationalen Raumfahrtprojekt fiel ihm auf: „Es gab kein zentrales Tool, um alle technischen Daten über den Satelliten an einem einzigen Ort zu bündeln, um mit vielen Leuten gleichzeitig daran arbeiten zu können.“ 

Stattdessen arbeiteten Ingenieur:innen mit verstreut abgelegten Dateien in verschiedenen Formaten. Dieses Problem betrifft nicht nur die Raumfahrt. In vielen Ingenieurdisziplinen kämpfen Teams mit ähnlichen Herausforderungen: „Man geht immer davon aus, dass alles Rocket Science ist. Ich würde sagen, dass Softwareingenieure den Hardwareingenieuren 20 Jahre voraus sind. Die haben bessere Methoden und Tools entwickelt, um zusammenzuarbeiten. Wir wollten das ändern.“

Aus diesem Gedanken entstand die Software von Valispace. Heute nutzen über 100 Unternehmen das Kollaborationstool: Airbus entwickelt damit Flugzeugkabinen, andere Kundinnen und Kunden nutzen sie auch für die Entwicklung von Elektronik, Autos, Drohnen, Booten oder Robotern – für alle Arten komplexer Produkte. 

Venture Capital – Von Family & Friends zu Series A-Kapital

Das Gründungsteam finanzierte sich anfangs noch über ihre Vollzeitjobs. Die Software schrieben sie abends und am Wochenende. Solange bis Marco Witzmann und Louise Lindblad beschlossen: Wir wollen es richtig machen. Richtig machen hieß, so viel Kapital zu haben, dass das Projekt wachsen kann. Das Problem: „Investor:innen wollen ein Produkt sehen. Aber ohne Kapital lässt sich eine komplexe Engineering Software praktisch nicht entwickeln.“ 

Über Familie und Freunde sammelten Witzmann und Lindblad die ersten 100.000 Euro Kapital ein. Gleichzeitig gewannen sie einen Großauftrag von Airbus. 2018 pitchte das Team beim High-Tech Gründerfonds und erhielt Pre-Seed-Kapital in Höhe von einer Million Euro. Eine Seed-Runde in Höhe von 2,2 Millionen folgte 2020. Im Jahr darauf erweiterte Valispace seine Seedrunde noch einmal. Insgesamt sammelte Valispace so 6,7 Millionen Euro Risikokapital ein.

Der Exit – wie lief er ab?

Eine E-Mail aus Kalifornien leitete den nächsten Schritt ein: Der Cloud Business-Manager von Altium stieß per Internetrecherche auf Valispace – genau die Kollaborationslösung, die seiner Plattform fehlte. Nach einer erfolgreichen Partnerschaft, bei der Valispace integriert und mitvertrieben wurde, kam es zur Übernahme.

„Wir standen vor der Wahl“, erzählt Marco Witzmann. „Weiter zu wachsen und mehr Venture Capital Geld einzusammeln. Oder die Möglichkeit zu nutzen, bei der ein strategischer Käufer sagt: Ihr passt bei uns wirklich gut rein.“ Die gemeinsame Vision und das Angebot, nicht nur den Code, sondern auch das Team von 33 Mitarbeitenden zu übernehmen, überzeugten Witzmann und Lindblad: „Das sind smarte Leute in einem stark wachsenden Unternehmen, die die ganze Elektronikindustrie verändern wollen. Gemeinsam könnten wir viel mehr erreichen als allein.“

Nach etwa sechs Monaten Verhandlungen, inklusive Due Diligence und Vertragsabschluss, stand der Deal im Dezember 2023: Altium übernahm Valispace für 18 Millionen Euro. Ein Unicorn sei Valispace nicht geworden, meint Witzmann. Aber sie konnten Kapital mit solider Rendite zurückgeben. Heute treiben er als Leiter des AI Incubators von Altium und Louise Lindblad als Vice President Product Systems Engineering für die Valispace-Software weiter gemeinsam Projekte voran.

Tipps vom Startup-Gründer

In rund acht Jahren hat Marco Witzmann eine Deep-Tech-Idee zur Produktreife und in den internationalen Markt gebracht. In dieser Zeit hat er vom Start mit „Bootstrap“-Kapital bis hin zum Umgang mit Risikokapital-Geber:innen Erfahrungen gesammelt. Hier sind seine Tipps für Startups:

  1. Entscheidet euch bewusst für VC (oder auch dagegen)
    Venture Capital bringt Vorteile, aber auch Druck. Überlegt euch gut, ob das zu euch passt. In einem Venture Capital (VC) finanzierten Startup müsst ihr extrem stark skalieren und schnell wachsen, denn die Finanzierung ist zeitlich begrenzt. Nach sieben bis zehn Jahren erwartet der VC im Idealfall das 20- bis 100-fache seiner Investition durch den Verkauf seiner Beteiligung. Die meisten Startups schaffen es nicht, überhaupt Venture Capital einzusammeln. Aber selbst von denen, die eine erste Runde raisen, heißt es, dass nur drei von zehn einen Exit schaffen. Wenn man ein Business Modell hat, das auch ohne Venture Capital auskommen kann, kann man viel selbstbestimmter gründen. Das Geld für Investitionen muss man sich dabei aber erst mit Umsätzen verdienen. Wer sich also für Venture Capital entscheidet, sollte dies bewusst tun, rät Marco Witzmann.

  2. Unterschätzt das Menschliche nicht
    Der Risikokapitalmarkt ist für Einsteiger:innen nicht einfach zu durchschauen. In der ersten Phase müssten Gründer:innen sehr viele Gespräche mit potenziellen Investor:innen führen. „Ich finde, das ist ein bisschen wie beim Dating“, zieht Marco Witzmann eine Parallele. „Man versucht in kurzer Zeit ein Gefühl für die andere Person zu kriegen.“ Man sollte sich auf die Menschen einlassen und ihre Motivation kennenlernen. Hat das Gründungsteam später dann Kapital erhalten, geht es darum, die Beziehung aktiv zu pflegen und die Investor:innen gut einzubinden.

  3. Informiert euch gründlich und zieht alternative Finanzierungen in Betracht
    Acceleratoren wie der Y Combinator bieten Tipps für Gründer:innen. Plattformen wie Crunchbase geben einen Überblick, welche VCs in welche Phasen und mit welchem inhaltlichen Fokus investieren. Kontakte lassen sich auf Startup-Events, zum Beispiel Pitch Nights, knüpfen. Marco hat sich Listen mit den Namen von VC-Gebenden angelegt und gezielt Kontakt aufgenommen. „Ein VC hat für das erste Screening vielleicht zwei Minuten Zeit“, ist seine Erfahrung. „Das Pitchdeck muss gut sein.“ Wenn ihr für die VC-Phase noch zu früh seid, weil ihr noch keine wachsende Kundenbasis habt, sucht euch Alternativen der Finanzierung (Exist Stipendium, Angels, Dayjob, etc.) anstatt Zeit mit VC-Gesprächen zu vergeuden.

  4. Tauscht euch mit den richtigen Leuten aus
    Wichtig findet Marco Witzmann den Austausch mit Menschen, die bereits ein Startup gegründet haben. Sein Tipp: einfach Netzwerken oder sogar entfernte Kontakte auf LinkedIn anschreiben: „Die meisten Gründerinnen und Gründer sind supernette Leute und nehmen sich gerne Zeit.“ Coaches können gut sein, aber nicht jede:r versteht die spezifischen Dynamiken von Startups aus dem Doing. Deshalb lieber mehr Zeit investieren, um die richtigen Ansprechpartner:innen oder Business Angels auszuwählen, anstatt vor allem auf Leute mit Industrie- aber ohne Startup-Erfahrung zu vertrauen. Mit VCs oder Angels in der eigenen Stadt oder Region ist es natürlich noch leichter, schnell einen persönlichen Bezug aufzubauen.
  5. Sucht euch ein gutes Gründungsteam, das sich gegenseitig ergänzt
    Risikokapital-Gebende achten auf das Gründungsteam – in sehr frühen Phasen oft sogar mehr als auf die Idee, die sich ja ohnehin noch verändert. VCs wollen einschätzen können, ob sie in Leute investieren, die eine starke Eigenmotivation haben, die sich coachen lassen und nach Rückschlägen wieder aufstehen können. „Wichtiger als die Frage, ob man im Team schon alle Bereiche mit Wissen abdeckt, finde ich, dass sich die Personen ergänzen, „all-in“ dabei sind und das Beste aus den anderen herausholen. Wenn alles klappt, werdet ihr oft mehr Zeit mit den Mitgründenden als mit euren Partner:innen oder Familien verbringen“, so Marco Witzmann.

  6. Begeistert Menschen für eure Idee mit eurem schnell wachsenden Business
    Oft kann man die Geschäftsidee ganz ohne Geld oder Vorleistung auf Plausibilität überprüfen, meint Marco Witzmann: „Was hält mich heute davon ab, einem potentiellen Kunden zu sagen: Wenn ich dir verspreche, dieses Produkt in einem Jahr zu liefern, unterschreibst du mir heute schon einen Vertrag, dass du es mir abnimmst, sobald es da ist?“ Essays von Derek Sievers oder das Buch „Zero to One“ von Peter Thiel zeigten, dass Gründer:innen auch ohne das große Geld ganz viele Dinge bereits tun könnten. Startup-Teams sollten sich als allererstes daran machen, möglichst schnell einen einfachen Prototypen zu entwickeln und damit Kundinnen und Kunden zu begeistern. Der attraktivste Pitch ist ein bereits schnell wachsendes Business.

  7. Versteht Venture Deals – wirklich!
    „Ich bin immer noch erstaunt, dass es Gründer:innen gibt, die die Verträge nicht verstehen, die sie mit Investor:innen abschließen“, sagt Marco Witzmann. Verstehen heißt für ihn, im Detail zu wissen, was jede einzelne Klausel bedeutet und welche praktischen Auswirkungen sie hat. Denn diese bestimmen zum Beispiel, wie viel Entscheidungsfreiheit man in seinem Unternehmen hat, wie die Anteile beim Exit verteilt werden und was passiert, wenn sich Investor:innen und Gründungsteam irgendwann einmal nicht einig sind. Sich dafür Zeit zu nehmen, hält Marco Witzmann für genauso wichtig, wie sich um das eigene Produkt zu kümmern: „Das Buch Venture Deals vor dem Fundraising zu lesen und sich bei der Finanzierung von einem spezialisierten Anwalt beraten zu lassen, ist schon die halbe Miete.“ 

An einer Gründung interessiert? Schreibt uns gern eine Mail an info@starthaus-bremen.de oder ruft uns unter +49 (0)421 9600 372 an, wenn ihr Fragen zu eurer Gründung(sidee) habt. Wir haben die Antworten.

Erfolgsgeschichten


Finanzierung
12.12.2024
Wie ticken Venture Capital Geber:innen?

„Wenn ich Raketentreibstoff in einen VW-Käfer gieße, geht er kaputt“, sagt Professor Dr. Christian Horneber. Damit meint der Investment-Experte, dass Venture Capital im Vergleich der verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten wohl der stärkste Booster ist. Doch nicht für jedes Startup ist es geeignet.

Zum Artikel
Erfolgsgeschichten
12.12.2024
Nachhaltige Pilzzucht in Bremen: Wie Neighbourshrooms Wirtschaft und Umweltschutz vereint

Neighbourshrooms verbindet innovative Pilzzucht mit einer nachhaltigen Lebensweise und gesellschaftlicher Verantwortung. Was als persönliche Leidenschaft begann, ist heute ein Beispiel dafür, wie Unternehmertum, Bildung und Umweltschutz gewinnbringend zusammenarbeiten können.

Zum Artikel
Erfolgsgeschichten
11.12.2024
Jeder Tod verdient einen Abschied

Wenn ein geliebtes Haustier stirbt, fühlen sich deren Besitzer oft alleingelassen mit den überwältigenden Entscheidungen und vor allem mit der tiefen Trauer um ihren langjährigen Begleiter. Helfen möchte Sonja Rennhack mit der Gründung von „Küstenbestatter – Tierabschied mit Herz“ in Bremerhaven.

Zum Artikel bei der BIS Bremerhaven